Abtreibung, also Exkommunikation? Neee!

Nach einem Podiumsgespräch  zum Thema „Kirche und Homosexualität“ (Visp, 26. September 2015) schrieb mir Valentin Abgottspon (vgl. http://www.frei-denken.ch/de/sektionen/wallis/) folgendes:

 

Hallo Pierre,

 

               anlässlich des Gesprächs (bei http://www.schwuleob.ch/index.php/news-events/11-news/25-podiumsgespr%C3%A4ch-kirche-und-homosexualit%C3%A4t) bezichtigtest du mich (so nahm ich das wahr...) der Falschinformation.

               Kannst du Klarheit in die Angelegenheit bringen? Meintest du in deinem Moment der Empörung eher: «Es SOLLTE deswegen niemand exkommuniziert werden?»

               Hier die Doku zur Exkommunikation. Siehst du das anders als ich? Da wurde exkommuniziert. https://en.wikipedia.org/wiki/2009_Brazilian_girl_abortion_case#National_Conference_of_Bishops_of_Brazil

               Fisichella wurde wegbeordert vom Posten.

               Bist du bereit, zuzugeben, dass du dich diesbezüglich geirrt hast? Auf Schwangerschaftsabbruch steht Tatstrafe Exkommunikation. Siehst du das anders?

               Falls du den Brasilien-Fall für nicht ganz klar hältst: Magst du zumindest zugeben, dass: Bei Schwangerschaftsabbruch/Abtreibung WENN die Mutter nicht in Todesgefahr oder grosser Furcht ist, also "frei" entscheidet: Dass dann Tatstrafe Exkommunikation erfolgt.

 

LG, Valentin

 

Da mir diese Zeilen über den konkreten Anlass hinaus interessant scheinen, weil sie eine ganze Menge wichtiger Fragen aufwerfen, stelle ich meine Antwort hier ein.

 

Hallo Valentin,

vielen Dank für den Link – dazu in aller Kürze Folgendes:

 

            1. Klar macht der „Brasilien-Fall“ zunächst mal eines: auch dort, nicht nur in der Schweiz,  gibt es dumme Bischöfe. (Womöglich werden aber die episkopalen Dummköpfe in Brasilien sogar schneller und klarer in den Senkel gestellt, als in der Schweiz.) Dumm, ja absurd an der Position des Herrn Bischof ist, dass er offensichtlich tatsächlich meint, wenn irgendwo eine Abtreibung physisch vorgenommen werde, schnappe ipso facto der can. 1398 des  Codex Iuris Canonici zu.  Das ist eine Neanderthaler-Interpretation des Rechts, die evt. vor 1100 n.Chr. (d.h. vor Petrus Abaelardus) noch akzeptabel gewesen wäre, seither aber bei einem Vertreter der Kirche nur noch eine peinliche Inkompetenz offenbart. Da Du am Podiumsgespräch in Visp genau die Position des gnädigen Herrn zu vertreten schienst (was man Dir freilich nicht verargen kann: wenn klerikale Idioten ex cathedra Unsinn verzapfen, ist es nicht erstaunlich, dass ihnen Aussenstehende auf den Leim kriechen), habe ich protestiert und auch Dein Votum als „Unsinn“ abgekanzelt, was es in meinen Augen tatsächlich ist und zwar aus folgenden Gründen:

 

            2. „Nulla poena sine culpa“ (Keine Strafe ohne Schuld) – der Grundsatz gilt selbstverständlich auch im Kirchenrecht (explizit seit dem schrecklichen Bonifaz VIII., liber sextus 5,13,23). Unter welchen Umständen bei objektiv vollzogenem, aber subjektiv schuldlosem Regelverstoss Straffreiheit gilt, wird im Codex zu Beginn des 6. Buches im allgemeinen Titel III über das Rechtssubjekt (CIC can. 1323) aufgelistet. Dort findet man auch, natürlich nach der Gepflogenheit der römischen Juristen äusserst diskret platziert, das Stichwort error, „Irrtum“ - und damit den Hinweis auf die ethische Lehre vom irrenden Gewissen. Das ist quasi eine Tapetentür, die leicht übersehen werden kann, aber dennoch von der kirchenrechtlichen Kanzlei direkt ins ethische Wohnhaus nebenan führt. Dieses fundamentale ethische Lehrstück besagt, dass (subjektive) Schuld ein Widerspruch ist zwischen Tat und persönlichem Gewissen, nicht zwischen Tat und Gesetz und dass ein Gewissen immer verpflichtet, auch dann, wenn es irrt (was traditionell aus Röm 14,23 abgeleitet wird). Daher scheint mir ganz allgemein, dass es nach klassisch christlicher Lehre ziemlich schwierig ist, wirklich zu sündigen, solange man das, was man tut, nicht leichtfertig, schlampig oder unüberlegt tut, sondern bewusst handelt und sich dabei ernsthaft als den Menschen wählt, den man sub specie aeternitatis sein zu müssen spürt (oder, nach Deiner Formulierung: „frei entscheidet“, oder in fromme Sprache übersetzt: der göttlichen Berufung folgt). Ich sehe hier keinen wesentlichen Unterschied zwischen der kantschen Autonomie und der klassischen christlichen Vorstellung, dem göttlichen Willen folgen zu müssen. Dieser Wille ist ja keine einheitliche, für alle Menschen verbindliche Gebrauchsanweisung für richtiges Leben, die sich präzis formulieren und in Handbüchern der Moral für alle festschreiben liesse, sondern ein konkreter Ruf der Gottheit an jeden Einzelnen. (Deshalb werde ich, wie die Rabbiner sagten, beim letzten Gericht auch nicht gefragt werden, ob ich gelebt habe, wie Moses, sondern ob ich gelebt habe, wie ich selbst.) Natürlich, ich gebe es zu: die Lehre vom Gewissen, das verpflichtet, auch wenn es irrt, wurde in der katholischen Kirche nie an die grosse Glocke gehängt, dazu ist sie zu anarchistisch und man befürchtete stets, dass man die Autorität der abstrakten und theoretischen Gesetzesnorm (die nur pädagogisch orientieren soll) allzu sehr schwächen würde, wenn man die konkrete und praktische Gewissensnorm (die verpflichtet) zu sehr betonte. Angesichts der ziemlich allgemeinen Schlampigkeit des Menschen lag man da wohl nicht einmal so falsch. Jedenfalls verbannte man das Ganze in die Handbücher für Beichtväter und hoffte, dass Letztere im seelsorgerlichen Gespräch das individuelle Gewissen stützen würden (was sie - zumindest nach meiner beschränkten Erfahrung - auch meistens taten).

 

3. Eine ganz andere und viel grundlegendere Frage bleibt natürlich: ist es überhaupt vertretbar, eine religiöse Tradition, die in der Bibel immerhin fast durchgängig als poetisches Zeichensystem angefangen hatte, dermassen zu verrechtlichen? Mir scheint klar: nein! Gesetzesparagraphen gehören grundsätzlich ins rechtliche, nicht ins religiöse Subsystem einer Gesellschaft, dort stiften sie meistens nur Verwirrung. Das gilt ganz besonders für strafrechtliche Bestimmungen. Mir scheint, sogar der Codes Iuris Canonici habe das bemerkt: die gewichtige  „allgemeine Norm“, die für sich allein einen ganzen Titel besetzt (can. 1399), versucht offensichtlich, die Anwendung des Strafrechts überhaupt  herunterzufahren – und das nicht ohne Grund: die wenigen Strafen, die die Kirche überhaupt verhängen kann (vgl. can. 1331ff, 1336), sind doch heutzutage nichts anderes als lächerlich, jedenfalls wenn sie an Laien verhängt werden. Wem soll etwa die Allerweltsstrafe der Exkommunikation (so wie sie in can. 1331 umschrieben ist)  noch Angst machen oder Weh tun, wenn sich 85% der Kirchenmitglieder eh um die Sakramente foutieren? Ganz abgesehen davon, dass kein Mensch weiss, wie man in einer mobilen und anonymen Gesesellschaft wie der heutigen eine solche Strafmassnahme durchsetzen und kontrollieren soll: wenn mir mein Dorfpfarrer die Hostie verweigern sollte, fahre ich doch einfach inkognito in die nächste Stadt...

            Natürlich sind alle institutionalisierten Religionen stets der Gefahr ausgesetzt, von den sie umgebenden Gesellschaften rechtlich – und auch ethisch – ans Gängelband genommen und vor den Karren einer profanen „Leitkultur“ gespannt zu werden (dazu nächstens mehr „auf diesem Sender“!) – aber sie sollten klug genug sein, sich rechtzeitig aus dieser „babylonischen Gefangenschaft“ zu befreien. Diese Selbstbefreiung steht der katholischen Kirche noch bevor...

 

Mit herzlichen Grüssen und bis zum nächsten Schusswechsel

 

Pierre

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Kommentare: 5
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