Ist der Christus der Evangelien ein wahrer Mensch?

 

 

1. Das II. Vatikanische Konzil hat, im Gefolge der Enzyklika «Divino afflante Spiritu» von Pius XII. in der Offenbarungskonstitution (DV Nr. 12) stark betont, wie wichtig es sei, die literarischen Gattungen zu beachten, wenn man die Aussageabsicht der biblischen Autoren erfassen wolle. Mir scheint, die Tragweite dieser Position sei bislang in der Auslegung der Evangelien ziemlich unterschätzt worden. Das ist erstaunlich, denn die literarische Gattung «Evangelium» ist nicht nur die spezifisch christliche Erfindung, sie ist auch von zentraler Bedeutung, wenn es um das Verständnis des NT als heilige Schrift, d.h. als Wort Gottes an uns geht.

 

 

2. Die wichtigste Eigenheit der literarischen Gattung «Evangelium» ist, dass hier konkrete Erinnerungen an Taten und Worte des historischen Jesus und abstrakte theologische Deutungen, die ihn als «Christus», als Sohn Gottes und als Gott darstellen, auf eine und dieselbe Ebene verlegt und in eine einzige Erzählung gepackt werden.

 

Der Philipperhymnus (Phil 2:5-11) unterscheidet scharf zwischen dem «Jesus der Geschichte» und dem «Christus des Glaubens»: dieser «existierte in göttlicher Gestalt, hielt es aber nicht für einen unaufgebbaren Besitz, dasselbe wie Gott zu sein, sondern entleerte sich selbst», jener «nahm die Gestalt eines Knechtes an und wurde ähnlich den Menschen, er erniedrigte sich und wurde gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Deshalb hat Gott ihn erhöht…». Auch wenn Paulus im Präskript des Römerbriefs (1:3-4) vom Evangelium redet, unterscheidet er genau zwischen jenem «Sohn Gottes, der geworden ist aus dem Samen Davids nach dem Fleisch» und jenem, «der als Sohn Gottes abgegrenzt ist in Macht durch den Geist der Heiligkeit aus der Auferstehung der Toten».  Markus als Evangelist hingegen erzählt in einem Atemzug, wie Jesus im Seesturm erst als Gott das Wasser tadelt und anschliessend als Mensch seine Schüler (Mk 4: 35-41). 

 

 

3. Will man nun die Evangelien nicht einfach aus rein philologischem Interesse, sondern als Theologe lesen, muss man dies im Rahmen der christlichen Tradition tun. D.h. man kommt nicht umhin, bei der Deutung der Evangelientexte die dogmatische Definition von Chalzedon stets vorauszusetzen. Danach muss Jesus Christus «vollkommen in seiner Göttlichkeit und vollkommen in seiner Menschlichkeit» sein, «wahrer Gott und wahrer Mensch, bestehend aus Vernunftseele und Körper, identisch mit dem Vater nach der Göttlichkeit und identisch mit uns nach der Menschlichkeit, in allem uns gleich ausser der Sünde». Dabei sind die beiden «Naturen», die göttliche und die menschliche, «unvermischt, unverändert, unentfernbar und ungetrennt» in der einen Person Jesu zu denken (DS 301f).

 

 

4. Nun ist es jedoch klar, dass in den Evangelien das, was Jesus als Mensch tut, also seine menschliche Natur, und das, was er als Gott tut, also seine göttliche Natur, dauernd vermischt werden. Das gehört zur literarischen Gattung «Evangelium». Wenn man also die Evangelien im Rahmen der kirchlichen Tradition lesen will, muss man diese Vermischung als gattungsspezifische Eigenheit bei der Deutung des Textes berücksichtigen und das heisst: man muss sie wieder zurücknehmen, wenn man sich eine Vorstellung vom «Jesus der Geschichte» machen will, denn nur so ist dieser dann ein «wahrer Mensch», wie es die Definition von Chalzedon verlangt.

 

 

5. Als «wahrer Mensch» darf der «Jesus der Geschichte» den allgemeinen Horizont seiner Zeit und seiner Kultur grundsätzlich nicht überschreiten, er muss also in seinem Tun und seinem Reden ganz aus seiner damaligen Umwelt verstanden werden können. So viel ist der historisch-kritischen Methode zuzugestehen, nicht aus Sympathie zu ihren rationalistischen und agnostischen Voraussetzungen, sondern aus Treue zur dogmatischen Tradition der Kirche! Konkret heisst das: alles, was sich in den Evangelien nicht aus der damaligen Situation erklären lässt, muss als theologische Deutung verstanden werden. Das betrifft zunächst einmal natürlich die Wunder Jesu: historisch ist an ihnen nur das, was sich im damaligen Hellenismus, etwa bei einem «theios aner», auch hätte beobachten lassen.

 

In diesem Zusammenhang fällt folgendes auf: Bei den meisten Heilungswundern spielt der Glaube eine zentrale Rolle, etwa wenn Jesus zum Geheilten sagt: «Dein Glaube hat dich gerettet» (etwa Mk 5:34 u.ö.). Natürlich könnte man annehmen, das sei einfach ein Hinweis darauf, wie wichtig ganz allgemein das Vertrauen des Kranken in den Arzt für den Heilungsprozess sei. Aber als blosse Anspielung auf irgendwelche placebo-Effekte ist das Wort «Glaube» im NT dann doch zu belastet. Viel eher ist die Erwähnung des Glaubens hier ein Indiz dafür, dass Texte über Wunderheilungen nicht berichten wollen, wie einst Jesus Kranke geheilt hatte, sondern vielmehr die Rettung von Menschen verkünden, für die Gott in Christus Mitmensch geworden ist.

 

 

6. Das betrifft aber auch und besonders Bewusstsein und Wille Jesu: So, wie die klassischen Traktate «de scientia Christi» beides darstellen, entspricht es bestimmt nicht der Definition von Chalzedon. Ein «wahrer Mensch» besitzt weder das Wissen der Seligen, noch sieht er alles durch die göttliche Essenz (vgl. z.B. Thomas v. A., Summa III 9; Komp. Cap 216). Wie das Zusammengehen der beiden Naturen chalzedon-konform zu denken sei, ist eine Aufgabe, welche die Christologie zu lösen hat. Sie dürfte heutzutage viel einfacher als im Mittelalter zu bewältigen sein, seit S. Freud gezeigt hat, wie viel Unbewusstes in einer menschlichen Person schlummert. Danach müsste der göttliche Logos die menschliche Natur Jesu so «aufnehmen» («quod erat permansit, quod non erat assumpsit»), dass er zwar «unverändert, unentfernbar und ungetrennt» Subjekt aller menschlichen Handlungen Jesu wird, ohne indes (vor der Auferstehung) die Schwelle seines Bewusstseins in seinem Wissen und seinen willentlichen Entscheidungen je zu überschreiten. So lässt sich verhindern, dass in Jesus göttliche und menschliche Natur vermischt werden und dass er dauernd als Halbgott vor seine Jünger tritt - was eine monophysitische Häresie wäre. Auch die Evangelien darf man also nicht solchermassen monophysitisch deuten. Man muss im Gegenteil die rein gattungsspezifische Vermischung der beiden Naturen rückgängig machen, wenn man den «Jesus der Geschichte» beschreiben will.

 

 

7. Wie der «Jesus der Geschichte» und der «Christus des Glaubens» beide zusammen in einem streng chalzedon-konformen «Evangelium» hätten dargestellt werden können, kann man paradoxerweise bei Flavius Josephus im berühmten «Testimonium Flavianum» (Ant 18:63f) nachlesen. Dort sind nämlich rein historische Darstellung und theologische Deutung fein säuberlich getrennt: Josephus selbst hat ersteres beigesteuert, der christliche Glossator letzteres:

 

Um diese Zeit lebte Jesus, ein weiser Mensch wenn man ihn überhaupt einen Menschen nennen darf. Er war nämlich der Vollbringer ganz unglaublicher Taten und der Lehrer aller Menschen, die mit Freuden die Wahrheit aufnahmen. So zog er viele Juden und auch viele Heiden an sich. Er war der Christus. Und obgleich ihn Pilatus auf Betreiben der Vornehmsten unseres Volkes zum Kreuzestod verurteilte, wurden doch seine früheren Anhänger ihm nicht untreu. Denn er erschien ihnen am dritten Tage wieder lebend, wie gottgesandte Propheten dies und tausend andere wunderbare Dinge von ihm vorherverkündigt hatten.[vgl. dazu unten Nr.11!] Und noch bis auf den heutigen Tag besteht das Volk der Christen, die sich nach ihm nennen, fort.

 

 

8. Wäre der «Jesus der Geschichte» grundsätzlich über das damalige Mittelmass hinausgetreten, würde es auch rein historisch schwierig, seinen Tod zu erklären. Gekreuzigt wurde er ja, weil man ihn in Jerusalem nicht kannte: am Osterfest mussten damals unter römischer Besatzung terroristische Umtriebe befürchtet werden. Und wenn nun Jesus als unbekannter Landrabbiner aus Galiläa, einem damals heissen terroristischen Pflaster, sich allzu auffällig benahm (z.B. indem er in einer Zeichenhandlung den Tempeldienst kurz störte, vgl. Mk 11:15-19) war es aus römischer Sicht (und auch aus Sicht der Jerusalemer Behörden - deren Sicht fasst bezeichnenderweise Joh 11:47-53 am genauesten zusammen, vgl. Mk 14:1f) sicherer, ihn vorsorglich aus dem Verkehr zu ziehen. Dass man dies auch tatsächlich getan hat, setzt nun voraus, dass Jesus in Jerusalem völlig unbekannt war, und zwar weil er auch schon in Galiläa nur mässig und nur für einen kleinen Kreis von Leuten Bedeutung erlangt hatte. Und das wäre wohl kaum der Fall gewesen, hätte er wirklich für 5'000 + 4'000 Zuhörer Brot vermehrt (Mk 6:33ff; 8:1ff), Tage lang auf spektakuläre Weise Kranke geheilt und Tote auferweckt.

 

 

9. War nun aber der historische Jesus ein ziemlich durchschnittlicher Lehrer, der zwar eine menschenfreundliche Form von Judentum propagiert haben mochte, aber ansonsten durchaus nicht aus dem damaligen Rahmen fiel, stellt sich natürlich die Frage, wieso denn seine Jünger auf die Idee kamen, in ihm einen Messias, ja Gott selbst zu sehen. Das NT gibt darauf eine erschreckend klare und einfache Antwort:  wegen seiner «Auferstehung». Auch die modernen Exegeten sind sich zwar darin einig, dass die «Ostererfahrung» der Jünger (wie man das nobel, abstrakt und verschleiernd nennt) den alles entscheidenden Wendpunkt und Ausgangspunkt des christlichen Glaubens darstellt. Nur wird diese Erfahrung meist stark psychologisiert und spiritualisiert: die Jünger seien nach dem gewaltsamen Tod ihres Meisters vorerst depressiv nach Galiläa zurückgekehrt, um ihre früheren Tätigkeiten wieder aufzunehmen und erst ganz allmählich («nach drei Tagen») sei in ihnen die Überzeugung gewachsen, dass der Tod Jesu nicht das letzte Wort sein könne. Dieses innere Raunen sei im NT natürlich mythisch aufgeladen und dramatisiert worden, es hätte aber auch unabhängig von dieser Dramatisierung den Ausgangspunkt der christlichen Predigt dargestellt. Ein solches Verständnis der «Ostererfahrung» ist zwar durchaus mit dem modernen, agnostischen Weltbild kompatibel, aber ich glaube nicht, dass sich die explosionsartige Entfachung der christlichen Predigt historisch so erklären lässt. Die Jünger Jesu waren ja keine versierten Schriftgelehrten, die noch so gerne jede Gelegenheit zum Predigen und Belehren ergriffen hätten. Es waren bodenständige Unternehmer, die Galiläischen Fisch bis nach Rom exportierten. Zwar hatten sie sich dank ihrer Faszination für die Persönlichkeit Jesu zeitweise von ihren KMUs weglocken lassen. Dass aber solche Leute dann aus blosser Nostalgie nach einem toten Lehrer alles verlassen hätten, um für den Rest ihres Lebens über ihre inneren Gefühlswallungen zu berichten, scheint mir nun wirklich nicht wahrscheinlich.

 

 

10.  Mir scheint vielmehr, man müsse die ntl. Berichte über die Auferstehung Jesu sehr wörtlich nehmen, wenn man den plötzlichen Anfang der christlichen Predigt historisch wirklich verstehen will. In den ntl. Texten werden die predigenden Jünger stets als «Zeugen» verstanden. Zeuge ist man nur, wenn man etwas wirklich erlebt hat und ich glaube, die Jünger hatten in der Tat, ganz ohne Metaphorik, etwas wirklich Umwälzendes erlebt, das sie alsogleich predigend bezeugen mussten. Man mag das als «Ostererfahrung» bezeichnen, wenn man es nur handfest und konkret genug versteht.

 

 

11. Zur Ostererfahrung der Jünger gehörte zunächst das verstörende Erlebnis, dass ihr Meister in einer Nacht- und Nebelaktion verhaftet, ohne ordentlichen Prozess und aus unklaren Gründen verurteilt wurde und auch gleich die schlimmste damals praktizierte Strafe erleiden musste. Noch verstörender aber muss es für sie gewesen sein, dass Jesus, der am Vorabend eines Sabbats am Kreuz gestorben war, am ersten Tag nach diesem Sabbat plötzlich wieder lebendig vor ihnen stand und mit ihnen verkehrte, und zwar in einer neuen, gänzlich unverständlichen und nie gesehenen Form von Körperlichkeit, dank der er geschlossene Türen durchschreiten und auch wieder nach Belieben verschwinden konnte. Als letzter Aspekt der Ostererfahrung der Jünger gehört schliesslich der Umstand, dass der Auferstandene nach einem 40-tägigen Umgang mit ihnen sie endgültig verliess, um «von dieser Welt zum Vater» (Joh 13:1) zu gehen und dass dieser Verlust sie erstaunlicherweise nicht depressiv werden liess, sondern sie im Gegenteil mit einer rätselhaften Begeisterung erfüllte, aufgrund derer sie sich gleich daran machten, die erlebten Wunder zu bezeugen. (Josephus erwähnt im oben zitierten Abschnitt nur das erste Drittel dieser Ostererfahrung, weil er ja weder Jünger Jesu noch Christ war.)

 

 

12. Mir ist natürlich klar, dass es heute in der modernen, historisch-kritischen Exegese nicht nur unüblich, sondern geradezu völlig deplatziert ist, die ntl. Berichte über die Auferstehung Jesu genau so wörtlich zu nehmen, wie die Passionsgeschichte. Ich sehe allerdings nicht ein, wieso man es nicht dennoch tun sollte, wenn man Wunder nicht grundsätzlich für absolut unmöglich hält (was man als Theologe und als religiöser Mensch nicht unbedingt tun sollte). Jedenfalls hat man dazu drei nicht allzu schlechte Gründe: Erstens ist man so nicht mehr gezwungen, den ersten Zeugen, die sich ausdrücklich als solche verstanden, systematisch zu misstrauen und ihr Zeugnis psychologisch oder sonst wie umzubiegen. Zweitens versteht man so viel besser, warum die Jünger Jesu, anders als etwa die Johannesjünger oder die Jünger aller andern damaligen Messias-Prätendenten, nach dem Tod ihres Meisters «ihm nicht untreu wurden» (wie es Josephus staunend vermerkt), sondern weitermachten. Und zwar nicht so, dass sie einfach nur dessen Sache weiter vertreten hätten, sondern so, dass sie sogleich ihn selbst als Erlöser zum Zentrum ihrer Verkündigung machten und sich dabei auch durch die sehr schnell einsetzende Verfolgung nicht mehr bremsen liessen.

 

 

13. Es gibt schliesslich einen dritten Grund, die Osterberichte wörtlich zu verstehen. Dieser Grund gilt aber als so unanständig, dass man ihn besser nicht nennen sollte, wenn man ernst genommen werden will: das Turiner Grabtuch. Dieses Leinenband von 4,3 x 1,1 m, das im Turiner Dom aufbewahrt wird, und ebenso das Schweisstuch von Oviedo (Asturien) wurden Jahrhunderte lang als die Tücher verehrt, die Petrus und Johannes am Ostermorgen im leeren Grab erblickt hatten (Joh 20:5-7). Im 18. Jhd. gerieten natürlich beide Tücher als lächerliche, mittelalterliche Fälschungen in Verruf – bis 1898 ein Fotograf bemerkte, dass die schwach sichtbaren Gesichtszüge auf dem Turiner Grabtuch ein fotographisches Negativbild sind. Seither haben sich – besonders in Turin und Oviedo – verschiedene Gruppen von Wissenschaftlern um beide Tücher bemüht und sie mit den jeweils neuesten Methoden der (Natur-)Wissenschaft und Technik akribisch untersucht. Dabei haben sie nicht nur festgestellt, dass beide Tücher im 1.Jhd. n.Chr. in Palästina gewoben wurden, vom selben Toten stammen, der ein Gekreuzigter war und dass Form, Anzahl und Lokalisierung der Blutspuren auf beiden Tüchern sowie das Fehlen jeglicher Verwesungsspuren auf dem Turiner Grabtuch bis ins Detail mit den ntl. Passions- und Auferstehungsberichten übereinstimmen. Sie sind besonders auch zum Schluss gekommen, dass die einzige bis jetzt mögliche Erklärung für das rätselhafte Negativbild auf dem Turiner Grabtuch eine blitzartige, heftige Energieentladung sein müsste, durch die sich die Leiche «entmaterialisiert» hätte. Das alles passt weder in die Welt der agnostischen oder atheistischen Naturwissenschaft noch in die der modernen, rationalistisch-liberalen Theologie. Deswegen werden beide Tücher – ausser in stramm rechtskatholischen Kreisen – grundsätzlich mit eisernem Schweigen bedacht. Mir scheint dieses Schweigen sehr problematisch - und zwar wohlgemerkt nicht aus theologischen, wohl aber aus wissenschaftstheoretischen Gründen: Das Negativbild auf dem Turiner Grabtuch ist nämlich ein real existierendes, physisches Phänomen, d.h. also ein naturwissenschaftliches Problem, das man selbstverständlich lösen müsste – auch wenn man dabei Gefahr läuft, ex obliquo die Glaubwürdigkeit des NT zu erhöhen…

 

 

14. Unter den Jüngern Jesu haben gewisse schon sehr früh, das, was sie erlebt hatten und das, was sie mündlich verkündeten auch schriftlich festgehalten. Einer von ihnen war Johannes, der wohl ein Augenzeuge war und vielleicht tatsächlich zur Jerusalemer Prominenz gehörte (vgl. Joh 18:15). In seiner Passionsgeschichte (Joh 18-19) und in seinen Ostererzählungen (Joh 20:1-29) hielt er zunächst schlicht nur das fest, was er selbst unmittelbar vor und nach dem Tod Jesu erlebt hatte. Parallel zur Verkündigung von Jesus als dem Christus erfand dann aber jemand die Gattung «Evangelium», durch die die Ostererfahrung nun auf das gesamte Leben Jesu zurückprojiziert wurde. So konnte die Leserschaft plötzlich auf ein Leben blicken, das das Leben eines jüdischen Lehrers gewesen war, der sich nach seinem Tod durch das «vertikale Wunder» (K. Barth) seiner Auferstehung aber zugleich als Messias und Sohn Gottes entpuppt hatte. Vielleicht hat auch wieder der originelle Johannes diese Idee gehabt, vielleicht hat er sie aber von Markus, deren ursprünglichem Erfinder, im Verlauf der langen Redaktionsgeschichte seines Evangeliums übernommen. Sicher ist: wenn wir heute erfassen wollen, «was die heiligen Schriftsteller wirklich zu sagen beabsichtigten und was Gott mit ihren Worten kundtun wollte» (DV Nr. 12), müssen wir ihre «Evangelien» historisch-kritisch (was nicht heisst: historisch-überkritisch!) lesen: Wir müssen unterscheiden zwischen dem, was sie uns darin über die Worte und Taten des historischen Jesus mitteilen wollten und dem, was sie - in genau demselben narrativen Stil - über ihn als göttlichem Subjekt verkündeten, «damit wir durch den Glauben das Leben haben» (Joh 20:31).

 

Fribourg, 21.07.2024

 

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(La version Allemande du texte est paru dans "Der Sonntag", avril 2023)
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