Politische Hobelspäne? Wieso bloss?!

 

Weil im politischen Alltag immer wieder Texte entstehen, die dann aus verschiedensten Gründen "abfallen" (etwa, weil sie zu lang sind, oder zu kurz, oder zu giftig, oder weil da ein Adjektiv  17 WählerInnen schocken könnte, die dann womöglich in 4 Jahren usw....). Diesen Abfall gibt's hier zu lesen.

Der Corona-Virus könnte uns auch mit ökonomischer Vernunft anstecken...

                                                                                                                      31. März 2020

 

Eigentlich weiss man es spätestens seit Aristoteles (384-323 v.Chr.) und eigentlich ist es auch völlig evident: in einer endlichen Natur ist eine Wirtschaft, die – durch das Geld angetrieben – ins Unendliche wächst, widernatürlich und damit auf die Länge auch in keiner Weise praktikabel (vgl. Politik I 8-12, 1256a1-1259a37).

 

Nur eben: Aristoteles ist zu Beginn der Neuzeit in Ungnade gefallen und galt bald einmal als realitätsferner Ideologe, dessen obskurantistische Theorien höchstens für unterbelichtete Pfaffen von Bedeutung sein konnten. Grosstheorien wurden daher vom 17. Jhd. an nur noch möglichst unabhängig von Aristoteles, ja am besten gleich gegen ihn entworfen: so in der Naturwissenschaft (Galilei), in der Philosophie (Descartes, Kant), in der politischen Theorie (Rousseau) und eben auch in der Ökonomie. Diese wurde mit Adam Smith von ihrer Bindung an die Natur befreit und der vermeintlichen Selbstregulierung des freien Marktes überlassen.

 

Daraus ergab sich dann, angetrieben durch die technischen Anwendungen der modernen Naturwissenschaft, schon im 19.Jhd, besonders aber nach dem 2. Weltkrieg, genau jenes unabsehbare Wirtschaftswachstum, vor dem Aristoteles gewarnt hatte. Dieses passte freilich so gut zum neuzeitlichen Fortschrittglauben, dass Wachstum bald einmal zum selbstverständlichen und unhinterfragten Kennzeichen einer jeden gesunden Wirtschaft wurde. Wirtschaftswachstum scheint denn auch seit Jahrzehnten „alternativlos“ – zumal auch, und das ist speziell paradox – wenn es darum geht, die ökologischen und sozialen Folgeschäden eben dieses Wirtschaftswachstums in den Griff zu bekommen. Dieses Mantra wird nunmehr seit Jahren nicht nur in der Politik (und zwar auch bei den Linken, den Grünen und überhaupt allen Netten), sondern von quasi allen Wirtschaftswissenschaftler unermüdlich, andächtig und beschwörend durchgebetet.

 

Nun hat etwas so simples wie ein Virus in wenigen Wochen die angeblich so überaus gesund wachsende Weltwirtschaft auf eine Talfahrt gezwungen hat, deren Ende noch nicht abzusehen ist. Sicher ist nur, dass deren soziale Folgen zunächst einmal ohne Zweifel katastrophal sein werden. Zugleich aber sollte man auch beachten, dass nun erstmals seit 250 Jahren die längst notwendige ökologische Wende plötzlich eine reale Chance bekommen könnte.

 

 

 

Deswegen wäre es vielleicht keine allzu schlechte Idee, nun endlich die wenigen Ökonomen zur Kenntnis zu nehmen, die bisher ihr Knie vor den Wachstums-Götzen noch nie gebeugt hatten. Bei ihnen liesse sich nämlich nachlesen, wie der bevorstehende ökonomische Absturz sozial abgefedert und anschliessend in einen sozial- und umweltverträglichen Dauerzustand überführt werden kann. (Die allermeisten Ökonomen hingegen sind im Moment kaum lesenswert: es sind blauäugig-zweckoptimistische Wachstumsideologen, die momentan eh nur darüber schwadronieren, dass die abgestürzte Wirtschaft möglichst bald wieder mit staatlicher Entwicklungshilfe hochgefahren werden müsse - damit sie uns in den nächsten paar Jahren umso sicherer den finalen ökologischen Kollaps bescheren könne.)Einer dieser lesenswerten Autoren ist Niko Paech. Er hat seine wachstumskritische Position schon vor Jahren in einem knappen und brillant geschriebenen Büchlein zusammengefasst, das auf 155 Seiten das bisherige Unheil und einen möglichen Ausweg daraus skizziert. Der Autor selbst fasst in der Einleitung sein Buch in drei Thesen zusammen (10f):

 

 

Erstens: Unser ohne Wachstum nicht zu stabilisierender Wohlstand ist das Resultat einer umfassenden ökologischen Plünderung. Versuche, die vielen materiellen Errungenschaften einer Abfolge von Effizienzfortschritten oder anderweitiger menschlicher Schaffenskraft zuzuschreiben, beruhen auf einer Selbsttäuschung. Dies soll anhand dreier Entgrenzungsvorgänge dargestellt werden, die für das moderne
Dasein prägend sind. Demnach leben die Menschen in modernen Konsumgesellschaften auf dreifache Weise über ihre Verhältnisse; sie eignen sich Dinge an, die in keinem Verhältnis zu ihrer eigenen Leistungsfähigkeit stehen. Sie entgrenzen ihren Bedarf erstens von den gegenwärtigen Möglichkeiten, zweitens von den eigenen körperlichen Fähigkeiten und drittens von den lokal oder regional vorhandenen Ressourcen (Kapitel I—III).

 

 

 

Hier wird auf 50 Seiten mit Hilfe zahlloser Beispiele anschaulich gezeigt, auf wieviel Ausbeutung ferner Gegenden und künftiger Generationen unser angenehmes Leben gründet und zugleich, wie verletzlich und hilflos es uns gemacht hat (was seit 3 Wochen allen klar geworden ist…).

 

 

 

Zweitens: Jegliche Anstrengungen, wirtschaftliches Wachstum durch technische Innovationen von ökologischen Schäden zu entkoppeln, sind bestenfalls zum Scheitern verurteilt. In allen anderen Fällen kommt es sogar zu einer Verschlimm-
besserung der Umweltsituation (Kapitel IV).

 

 

 

Hier wird wiederum an vielen durchgerechneten Beispielen auf deprimierend klare Weise gezeigt, wie absurd es ist, nach „grüner“ Manier die Umwelt ohne Rückbau unseres Luxuskonsums, d.h. ohne Umwälzung unseres Lebensstils, rein technologisch retten zu wollen (mit Elektromobilität, Ökostrom oder Minergie-Labels). Dadurch werden Probleme nur vertagt und verschärft.

 

 

 

Drittens: Das Alternativprogramm einer Postwachstumsökonomie würde zwar auf eine drastische Reduktion der industriellen Produktion hinauslaufen, aber erstens die ökonomische Stabilität der Versorgung (Resilienz) stärken und zweitens keine Verzichtsleistung darstellen, sondern sogar die Aussicht auf mehr Glück eröffnen (Kapitel VI).

 

 

 

Paechs Vorstellung der künftigen, nachhaltigen, weil nicht mehr wachsenden Wirtschaftsorganisation ist der einzige nicht allzu deprimierende Teil des Buches. Hier wird nämlich klar, dass es – gerade auch angesichts der massiven Arbeitslosigkeit und der zahlreichen KMU-Konkurse, die in den kommenden Monaten auf uns einstürzen werden – Lösungen gäbe, freilich nicht ohne einschneidende Revolutionierungen unseres Alltags. Paech fasst seine Vision am Schluss tabellarisch zusammen.

 

Wer das Büchlein nicht bestellen kann oder nicht lesen mag, findet das meiste auch elektronisch in zahlreichen Vorträgen und kleineren Texten des Autors, die alle schön zusammengestellt sind auf: https://de.wikipedia.org/wiki/Niko_Paech

 

 

 


Vollgeld-Initiative

 

Die NEIN-Sager finden…

 

… der Staat sollte besser wegschauen, wenn die Banken aus dem Nichts Geld schöpfen und so die nächste Finanzblase vorbereiten!

 

Frei nach dem bekannten Motto. „Weniger Staat, mehr Freiheit für die Spekulanten und Finanzjongleure!“

 

Deshalb:

Im Würgegriff der Finanzhaie

 

 

Zugegeben: der Titel ist nicht gerade mitreissend. Aber er fasst die kühne Grundidee des schmalen Büchleins sehr gut zusammen: genau so, wie 1914 im „Grossen Krieg“ die europäische Jugend durch zynische Politiker massenhaft in den Tod gejagt wurde, genau so wird heute die Jugend durch zynische und kranke Wirtschaftsführer massenhaft in Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Verzweiflung gejagt. Denn die heutige Wirtschaft wird durch ihren Finanzsektor nicht mehr gefördert, sondern erstickt und demoliert.

 

Und das schreibt nicht irgendein ideologisch bornierter, wirtschaftsfeindlicher Ignorant, sondern ein ausgewiesener Spezialist und Insider, seines Zeichens Professor für „Quantitative Finance“ an der Universität Zürich.

 

Auf knappen 92 Seiten werden nicht nur – eingängig und kurz - all jene geheimnisvollen Begriffe der heutigen Finanzwelt erklärt (und am Schluss auch durch ein ausführliches Register erschlossen), die man überall liest und nie wirklich versteht. Während der Lektüre sieht man auch immer klarer und mit zunehmendem Schrecken, dass die heutigen Demokratien voll im Würgegriff der Wirtschaft sind und diese (Real-)Wirtschaft ihrerseits von spielsüchtigen, d.h. geisteskranken Finanzspezialisten in den Abgrund geritten wird.

 

Leider war das Büchlein (dessen Übersetzung aus dem Französischen u.a. von Unia und WWF unterstützt wurde) zu kurz, um wirklich Beachtung zu finden. Aber eigentlich wäre es viel kühner, viel treffsicherer und darum auch viel nützlicher, als die allseits hochgejubelten Bestseller von Sedlacek oder Piketty. Es zeigt nämlich, dass der Kapitalismus nicht die heute einzig mögliche, moderne Form von Wirtschaft ist (wie allseits selbstverständlich vorausgesetzt wird), sondern in Tat und Wahrheit eine wirtschaftsfeindliche, ja wirtschaftsvernichtende Form von kollektiver Geisteskrankheit.

  

Marc Chesney, Vom grossen Krieg zur permanenten Krise. Der Auftieg der Finanzaristokratie und das Versagen der Demokratie, Zürich 2014, 92 Seiten.

 

Eben ist die französische Fassung in zweiter Auflage erschienen:

Marc Chesney, La crise permanente. L'oligarchie financière et l'échec de la démocratie, Lausanne 2018, 157 p.

 

 

Parteienlogik

 

Ja, harzig wird sie wieder sein, die kommende Rentendiskussion. Und zwar, weil man sich weiterhin nicht einmal über die Anwendung der einfachsten Begriffe einig ist.

 

Wenn z.B. die FDP die Erhöhung des Rentenalters auf 67 durchboxen wollte, dann wäre das ein klarer Rentenabbau, der ausgeglichen werden müsste. Schliesslich verkürzte sich so die nachberufliche Freizeit. Das wäre logisch - für alle.

Wenn z.B. die Gewerkschaften die Senkung des Rentenalters auf 64 fordern würden, dann wäre das ein klarer Rentenausbau, der ausgeglichen werden müsste. Schliesslich verlängerte sich so die nachberufliche Freizeit. Das wäre logisch – für alle.

 

Nun aber: was ist, wenn die Medizin die durchschnittliche Lebenserwartung anhebt, was sie seit Jahren tut? Dadurch verlängert sich die nachberufliche Freizeit  ja auch.

Deshalb denkt die Rechte automatisch: das entspricht klar einem Rentenausbau, der ausgeglichen werden muss. Das ist doch logisch, oder? Und die Linke findet instinktiv: natürlich nicht, von Rentenausbau kann man nur reden, wenn an den Renten geschraubt wurde, nicht wenn die Lebenserwartung steigt. Das ist logisch, oder?

 

Wie soll man sich über Renten einigen können, wenn man nicht einmal über Logik einer Meinung ist?

 

25. September 2017

 


Der 1. Mai – ein alter Zopf?

 

          „Der 1. Mai? Mit dem komischen Umzug und den roten Fahnen und der Internationalen? Das ist doch längstens passé, das ist ein alter Zopf!“ so tönt es allenthalben in linken Kreisen. Und da scheint schon was dran zu sein: modern ist der 1. Mai-Umzug bestimmt nicht. Ein Protestmarsch, eine Demo, ein Sit-in, aus aktuellem Anlass spontan organisiert, das ginge vielleicht noch. Aber ein jährlich wiederkehrender Umzug an einem bestimmten Tag im Kalender, mit Fahnen und Absingen der Internationalen? Das riecht doch nach Fronleichnamsprozession, nach Bittgang – jedenfalls nach etwas Religiösem aus dem „dunklen Mittelalter“, das sogar in der katholischen Kirche am Verschwinden ist.

 

         Moderne Politik sieht anders aus: da wird kritisch analysiert, sachlich argumentiert, professionell propagiert und zum Schluss sauber evaluiert. Und das geschieht nicht an Umzügen, sondern an Sitzungen. Die effiziente, gekonnt moderierte und gut protokollierte Sitzung, das ist das Kernelement jeder modernen Politik. Denn moderne Politik, gerade auch linke, die gründet auf kühler Vernunft, nicht auf diffusen Gefühlen.

 

         Komisch ist nur: in letzter Zeit gewinnen weltweit nicht mehr die Politiker, die an die Vernunft appellieren, sondern die, die auf Gefühle bauen. Denn „die Wähler entscheiden sich heute eher für Stimmungen als für Programme“ (Benjamin Kunkel). Und zwar nicht nur zur Rechten, auch zur Linken, das zeigt der Schulz-Effekt in Deutschland.

 

         Drum sollte man vielleicht doch weniger einseitig auf spröde, verkopfte Vernünftigkeit setzen. Drum sollte man sich vielleicht doch zwischen zwei Sitzungen wieder etwas mehr Geselligkeit gönnen.

 

         Dazu wäre am 1. Mai schon eine Gelegenheit. Und eines ist wohl allen klar: auch an einem vormodernen Umzug kann man zwischendurch ganz modern und vernünftig miteinander reden - trotz Würstchen, Bier und roten Fahnen...

 

April 2017